Wolfram Goslich : Shanghai
Shanghai: was für eine abgefahrene Stadt – in ihrem Namen steckt schon ein bisschen Verheißung. Heiß ist es, eher schwül, jede Bewegung löst Schwitzen aus. Aber ich gewöhne mich daran, die Stadt ist so quirlig, faszinierend, gegensätzlich, eben Hafenstadt, da bleibt keine Zeit, zu überlegen, ob ich mich bewege oder nicht, die Stadt nimmt mich einfach mit.
Dabei ist die Skyline bei aller Faszination zunächst eher abschreckend, zwischen den Häuserschluchten wirklich kalt. Zu Fuß, mit der Motorrad Rikscha oder mit dem Taxi sieht man eigentlich am meisten und lernt die Facetten der Stadt zwischen HuangPo, Yangzi und dem Pazifik kennen. Und es sind immer wieder die Menschen, die faszinieren.
Zwischen Bambusgerüsten winkt mir ein Mann zu, als ich es fotografiere, am Sonntagmorgen im Nieselregen stehen auf dem Bund, der Flaniermeile am Fluss, ältere Männer und lassen bunte Drachen steigen, hundert Meter entfernt bewegen sich ältere Damen und Herren zu Tai-Chi-Klängen. Eine Straßenreinigerin kauert am Rand und hält ein Nickerchen, zwei Köche des Fairmont-Peace-Hotels zeigen mir stolz ihre Uniformen, eine junge Partygängerin schlendert verschlafen mit zwei Teigtaschen und einem Maisdrink „to go“ nach Hause, vor einem Hotel warten vier Taxifahrer auf Kunden und zocken derweil, Kartenspiel auf dem Kofferraum eines VW Santana und - es geht um Kohle! Natürlich hat einer der Fahrer auch nagelneue „Rolex“ im Angebot. Der Motorradrikschafahrer kurvt mit mir durch die Stadt, die 15-Minuten-Tour durch den dicken Verkehr würde bei uns reichen, ihn für Jahre zum Fußgänger zu machen, da alle so fahren, kracht es selten. Wenn es kracht, dann allerdings oft mit dramatischen Folgen, davon zeugen die an Autobahnraststätten aufgestellten Warntafeln mit Unfallfotos.
Ich will mit der U-Bahn fahren. Eigentlich ganz einfach. Habe die Station bequem gefunden, der erste Eingang ist halb geschlossen, jedenfalls ist ein Eisengitter bis zur Hälfte runtergelassen, also lieber nicht. Nächster Eingang, Rolltreppe; funktioniert zwar nicht, aber ich komme ins Untergeschoss. Dort Ladenpassagen, dröhnende Boxen, endlose Ladenreihen, von U-Bahn keine Spur. Fragen zwecklos, werde natürlich nicht verstanden, gebe irgendwann auf, es dauert mir zu lange, nehme eine Motorrad-Rikscha, Preis verhandeln, dann losfahren.
Bund 18, schicke Adresse, mit dem durchgestylten Fahrstuhl und seinen roten Reliefplatten aus Acryl an der Stirnwand hinauf in den 7. Stock. Dort erwartet uns eine Riesendachterrasse mit Lounge und Blick über die Glitzercity, unten auf dem HuangPo fahren die Partyschiffe, grell beleuchtet, alle paar Sekunden wechseln die Farben auf der Außenwand des Schiffes - wie bunte Bonbons, Smarties schwimmen die Dampfer vor der Skyline von Pudong im Dunst.
Was macht dieses Shanghai so faszinierend? Ist es seine Geschichte, koloniale Konzessionen, französisches, englisches Flair? Die Skyline, auf der die meisten Häuser im Nebel verschwinden, weil sie 300, 400, über 500 Meter hoch sind?
Sind es die unzähligen Leitungen, die kreuz und quer über den Straßen hängen und das ganze Chaos optisch noch deutlicher werden lassen? Die riesigen Frachter, die sich neben unzähligen Kohleschuten vor die Skyline schieben oder die grell beleuchteten Partyschiffe, die abends den Blick vom Bund auf das Wasser noch irrealer erscheinen lassen?
Wahrscheinlich alles zusammen.
[nggallery id=28]