Dominique Ortner: Angekommen bin ich nicht wirklich…
Einige Teilnehmer der Reise rasen durch Zentralasien in Richtung Teheran, andere sitzen/schlafen im Zug irgendwo zwischen Irkutsk und Moskau. Aber der größte Teil der Mitreisenden ist wieder in Europa gelandet. So wie ich seit ein paar Tagen. Angekommen bin ich trotzdem lange noch nicht. Der Koffer ist ausgepackt, der Inhalt gewaschen und aufgeräumt, die "Erinnerungsstücke", wie Stadpläne, Eintrittskarten, Belege jegliche Art sogar nach Orten sortiert, und doch hier und da bin ich nicht. Heute z.B. war ich bei einer ganz fantastischen chinesischen Hochzeit mit viel Geschrei, Pauken und Trompeten. In der Siedlung zogen die Kerwa-Buam mit viel Lärm durch die Straßen. Aus der Traum!... Ich war im Garten eingeschlafen. Nein, angekommen bin ich nicht wirklich.
Es kommen immer wieder Bilder hoch: Wie die Näherinnen von Turfan. Im Erdgeschoss eines großen Gebäudes im Bazar arbeiten die Näherinnen. Die "Kojen" sind ca. 2,50 m mal 3,50 m. Manchmal etwas größer. Drei Seiten sind voll behangen mit allen möglichen Stoffen, in allen Farben, seidig glänzend, mit Perlen und verschiedenen Ornamenten geschmückt, gemustert, einfarbig. Eine Pracht die den Atem raubt. Vorne hängen Borten, Passamenten in allen Größen und Art auch Volants, Perlen, Glasketten und allerlei Verzierungen. Die dritte Seite ist zum Gang offen und der Gang ist nicht gut beleuchtet. Da arbeiten die Näherinnen, 3, 4 bis 6 Frauen haben dort ihre Tische und nähen mit der Maschine, mit der Hand, schneidern, bügeln. Wenn der Platz nicht reicht, wird der Stoff am Boden geschnitten. Die fertigen Kleider hängen an den Wänden. Die Kundinnen suchen sich die Stoffe und die Verzierungen aus. Wollen sie ihr Kleid anprobieren, wird eine der Stoffbahnen auseinandergefaltet (sie hängen ja an der Decke) und dahinter ist die "Kabine". Eine Frau, müde, schläft den Kopf auf den Armen. Dort gibt eine junge Frau Ihrem Kind die Brust. Drüben schläft ein Baby auf einen Stapel seidiger Stoffe. Dazwischen spielen Kinder. die Frauen lachen, machen Witze, essen, trinken Tee aus Ihren großen Kannen und nähen. Sie laden mich ein und machen einen Hocker frei von Stoffen, damit ich mit hinsetzen und zuschauen kann.
Ein Stockwerk höher sind Friseure und Friseusen am Werk. Jeder kann schauen und bewundern oder kritisieren, wie der/die die Nachbarin frisiert. Die Damen werden von Frauen frisiert und die Herren von Männern. Alles nebeneinander bzw. gegenüber. Gesichter werden massiert, geschminkt. Eine Braut mit weißem Rüschenkleid kommt mit perfektem Make up und hochgesteckte Frisur aus einem Friseursalon; mit ihr die Brautjungfer, die eine in rosa, die andere in blau bekleidet, alle mit Festfrisuren und toll geschminkt und laufen aufgeregt die Treppen herunter. Vermutlich wartet die Hochzeitgesellschaft unten.
Oder ein anderes Bild : In Jiayuguan spielen ältere Herrschaften so etwas wie Boccia. Damit ich gut sitze auf der Mauer, bieten mir die Herren ein großes Stück Pappe an. Ich soll meine Kleider nicht schmutzig machen. Es wird eifrig gefragt, wo ich herkomme, wo ich hinwill, was ich hier tue. Gott sei Dank reichen meine Kenntnisse der Sprache gerade noch für so etwas.
Oder die Tauben von Zhangye : In der Nähe einer buddhistischen Pagode hat man eine große Plastikwanne mit Wasser aufgestellt. Dort können die Vögel baden und trinken. Händler verkaufen kleine Tüten mit Mais und Getreidekörner und die Tauben sind so zahm, dass sie die Körner aus den Händen der zahlreichen kleinen Kinder fressen, zu deren größte Freude.
Oder tagelang bei 30 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit die Landschaften und Städte im Dunst erleben, und den Eindruck haben, dass die Sonne sich wohl verabschiedet und Haut und Kleider nie mehr trocknen werden.
Oder in Tchongqing, Stadt an den zwei Flüssen. 300 Tage Nebel im Jahr. Die Chinesen der anderen Gegenden witzeln und sagen," wenn die Sonne in Tchongqing scheint, dann bellen die Hunde": Beim Spazieren in der Altstadt scheint doch mal die Sonne. Zwei Frauen unterhalten sich und haben Hunde dabei. Die Hunde kläffen so laut, dass man seine eigene Stimme nicht mehr hört. Also stimmt der Spruch, wir haben es wirklich erlebt!
Oder das winzige Teehaus in den Gärten des Präsidential-Palastes in Nanqing: so winzig und hübsch wie ein Puppenhäuschen. Dort serviert man uns den Tee nach allen Regeln der chinesischen Teezeremonie. Es herrscht die größte Ruhe, obwohl in der gesamten Anlage die Besucher strömen und entsprechende Lautstärke herrscht.
Oder die Hochhäuser von Shanghai, verschwommen im Regen, wo der "Flaschenöffner" (ca. 550m), das momentan weltweit höchste Hochhaus, in den Wolken verschwindet. Oder, oder, oder... es sind noch so viele Bilder die auftauchen, jetzt im Nachhinein, dass es nicht möglich scheint noch mehr zu beschreiben.
Nein, angekommen bin ich überhaupt noch nicht. Vielleicht irgendwann mal...
Dominique Ortner (Duo Mei Ni Kè)
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