Im Reisebus von Freiburg nach Shanghai – auf der Seidenstraße um die halbe Welt
2Jun/10Off

Wolfram Goslich: Leben ist, wenn was dazwischen kommt! (Arnulf Rating)

Chronologisch kann ich mir eigentlich immer alles am besten merken, gerade, wenn wie auf dieser Reise, jeder Tag randvoll mit Eindrücken und Bildern ist, die sich auch in Fotos längst nicht alle festhalten lassen. Deshalb hier ein paar Schlaglichter, angefangen mit unserer denkwürdigen Einreise bis weit in die Wüste Gobi.

 Noch eine Grenzerfahrung! Die kasachische Grenze nach China zu passieren, ist mit mulmigen Gefühlen belegt. Undurchsichtige Grenzformalitäten erwarten wir, erleben wir auch, nur dass es überraschend schnell geht. Gut gelaunte Zöllner erfreuen sich an italienischem Espresso, der ihnen von uns serviert wird, die Putzfrau, die den Zöllnern die Bude putzt, wird auch bedacht und bedankt sich sogar mit einem „Danke“ auf deutsch. Was soll da noch schief gehen? Wir erreichen die chinesische Seite, eckiger Soldaten, zackige Haltung bei jedem passierenden Fahrzeug, Wege über den Zollhof legen die in Camouflage-Klamotten gehüllten Soldaten nur im rechten Winkel und immer im Gleichschritt zurück. Es sieht alles professionell aus, professioneller als bei den Kasachen. Wir erwarten eine sehr penible Zollkontrolle und bekommen sie auch. Eilfertige Zöllner fischen griffsicher Laptop, externe Festplatten, CDs aus meinem Gepäck und starten meinen Rechner, fragen mich nach dem Passwort, gehen sofort in das Dateiverzeichnis und kennen sich - Bill Gates sei dank -, auch ohne jegliche deutsche Sprachkenntnisse sofort bei der Suche nach Bild-, Video- und Musikdateien auf meinem Rechner aus. Sie fördern viele lang nicht gesehene Dateien zutage, im Hintergrund läuft coole Loungemusic, natürlich von meinen CDs. Die werden von den musikalisch irritierten Beamten sofort wieder geschlossen und mir mit einem freundlichen Lächeln wieder ausgehändigt. Mit allen anderen Dingen ist es ähnlich, der letzte etwas schüchterne junge Beamte schaut mich nach der beendeten Filzerei an und haucht halbwegs erleichtert mir ein „Welcome in China“ zu. Bis hierhin dachte ich noch, na denn, wird ja dann bald weitergehen, aber denkste!

 Wir haben wieder viel Zeit! Sehen, wie die gleichen Leute, die heute Morgen an uns vorbei über die Grenze gegangen sind und jetzt schwerbepackt mit verschnürten Paketen, Kisten und Kartons zurückkehren. In der sengenden Hitze laufen sie unzählige Male über den Zollhof um das ganze Zeug kontrollieren zu lassen. Kleiner Grenzverkehr! Und wir? Warten. Das Foyer des Gebäudes, vor dem wir warten, liegt mittlerweile wieder im Schatten, die Sonne ist um den Zollhof rumgewandert. Dafür hatte sie auch genügend, mittlerweile ist es früher Abend und wir noch keinen Schritt weiter. Daran ändert sich auch nicht viel, unsere Gäste dürfen zu Fuß schließlich die Grenze passieren, sind in China. Nur der Bus verschwindet einige hundert Meter weiter zwischen unzähligen Lkws, die auch die Grenze passieren wollen. Da bleibt er auch - über Nacht und vielleicht noch länger. Der Verhaltenskodex an einer Grenze ist im Grunde genommen ganz einfach: Nie fragen, nur machen, wonach man gefragt wird, niemals auch nur etwas zu viel tun, das weckt womöglich Neugierde und bringt möglicherweise Unordnung in den Ablauf eines Zöllners – und das ist Gift! Es wird nie leicht sein, sich in das Denken eines Zöllners hineinzuversetzen, wie auch? Die einen leben und passieren eine Grenze und die anderen verwalten; fast nichts, was hier geschieht, macht Sinn, wie also danach fragen?

Um die Sache abzukürzen – fast 1 ½ Tage für irgendeinen ängstlichen Beamten in der fernen Provinzhauptstadt, der sich nicht traut, mit seiner Unterschrift 22 Weltreisenden grünes Licht zur Reise ins Reich der Mitte zu geben. Tröstlich, dass es nicht nur für uns lange dauert. Ich sehe kirgisische LKW Fahrer, die vor lauter Langeweile anfangen, die Felgen ihrer Auflieger mit Silberfarbe anzupinseln, wir wissen langsam auch nicht mehr, welches Detail am Bus wir noch putzen könnten. Bilder aus der staubigen Einöde zwischen Stacheldraht, Steppengestrüpp, endlosen Reihen von Lastzügen und dahinter, ganz in der Ferne das imposante Panorama der schneebedeckten Gipfel des Tien Shan, des Himmelsgebirges.

In China wird Auto gefahren wie das Wasser fließt – mit dem Weg des geringsten Widerstands. Verkehrszeichen sind meist nur als Hinweise zu verstehen, haben informativen jedoch selten bindenden Charakter - mit Ausnahme der Geschwindigkeitsbeschränkungen, die schon aus finanziellen Erwägungen der kontrollierenden Polizisten bindend sind.

 Das Hotel in Yining nicht weit von der Grenze ist eigentlich für Ausländer verboten, wir dürfen dann doch noch dort übernachten, werden an der Stadtgrenze von Yining von Leuten im Auto erwartet, die beste Verbindungen in die Verwaltung haben und auch dafür sorgen, dass wir ohne jegliche Polizeikontrollen direkt zur Zulassungsstelle fahren können. Schließlich haben wir die Zulassung für den Bus, der TÜV ist abgenommen. Unglaublich übrigens, wie modern die Kontrollspuren dort ausgestattet sind: Bremsenprüfstand mit Digitalanzeige, Fahrzeugkennzeichen wird eingeblendet, Scheinwerfer können mit modernsten Geräten eingemessen werden. Bei uns reicht der Bremsenprüfstand, der TÜV Ingenieur lässt es sich nicht nehmen, den Bus selbst über die Grube zu fahren. Ob wir fotografieren dürfen, bleibt umstritten, natürlich gibt es einige Bilder. Bevor wir unseren Führerschein ablegen, erstmal Frühstück. Im Hotel gibt’s keins, also Frühstück im Bus. Wir haben bequeme Vis-á-vis-Tische, also kümmert sich Che, unser chinesischer Reiseleiter, darum. Nach einer Viertelstunde kehrt er zurück mit drei Plastikbeuteln. Einer ist angefüllt mit kleinen Teigzöpfen, im zweiten schwimmt Gurkensalat und die Flüssigkeit im dritten Beutel entpuppt sich als schwarzer Tee mit Milch. Tatsächlich, alles in Beuteln - das erleben wir in China noch oft. Den Tee aus dem knallheißen Plastikbeutel in Becher umzufüllen, bleibt eine Herausforderung, aber es gelingt.

 So gestärkt geht’s dann zur Führerscheinprüfung. Ein imposantes, freundliches Gebäude, ein wohltuender Kontrast für alle, die jemals in Berlin ein Auto anmelden oder einen Führerschein beantragen wollten. Keine bellenden Ordnungsamt-Tussis aus Tempelhof oder Lauchhammer, sondern freundlich aber bestimmt auftretende Chinesinnen. Sehtest! Zwei Meter hinter die Markierung zurücktreten, mit Zeichensprache versteht auch jeder deutsche Führerscheinaspirant, wie die Piktogramme zu deuten sind, ob sie erkennbar sind oder nicht. Die chinesische Beamtin versteht zumindest soviel, dass wir des Sehens mächtig sind. Es folgen umständliche Prozeduren von auszufüllenden und zu unterschreibenden Formularen an verschiedenen Schaltern, das sich uns keinesfalls erschließt. Wir nehmen Platz unter Büropalmen und warten, da sind wir im Training.

 Nach 2 Stunden nehmen wir unsere eingeschweißten Führerscheine entgegen. Alles in chinesischen Schriftzeichen, biometrisches Passbild, daran erkennbar, dass man auf diesem Foto nicht lächeln darf, sondern ausschauen muss wie ein schlechtgelaunter kasachischer Zöllner.

 Nach 2 Tagen Zollhof und Straßengraben der stilvolle Abschluss der Formalitäten mit unseren chinesischen Helfern in einem typischen Restaurant an der Ausfallstraße raus aus Yining. Die haben sich wirklich für uns eingesetzt und wir genießen Nudelsuppe, Teigtaschen, Spieße und Tee. Rein in den Bus, Musik an, Espresso-Maschine läuft und Zigarette dazu. Ab nach Osten!

Straßen in China gleichen oft Hindernisparcours: Unvermittelt auftauchende Schlaglöcher, also immer schön darauf achten, wer gerade vor einem fährt, am besten jemand vorfahren lassen, an dessen Bewegungen sich vieles rechtzeitig ankündigt, vor allem Bodenwellen, die sich meist nur sehr schlecht ausmachen lassen, die man eigentlich nur an Brücken, in Senken erwartet. Aber auch an anderen Stellen drohen Gefahren. Den Blick auch immer zur Seite und nach oben, vor allem in Städten.

Da lauern herunterhängende Äste und oft auch Stromleitungen und Telefonkabel, also am besten mittig fahren, da bleibt immer genügend Platz nach beiden Seiten auszuweichen und in Schlangenlinien Straßen zu befahren, oft auch hinein in den Gegenverkehr, was hierzulande keineswegs Empörung oder Entsetzen auslöst. Von Nachtfahrten wollen wir gar nicht groß sprechen, da die Reiseplanung das gar nicht vorsieht. Einen kleinen Vorgeschmack darauf gibt es dennoch bei der Rückkehr aus einem weiter entfernt liegenden Restaurant, wo mir zahlreiche völlig unbeleuchtete Autos entgegenkommen, Fußgänger einfach mitten auf die Straße in den Verkehr laufen und Schlaglöcher, Äste, Leitungen und dergleichen eh in der Nacht verschwinden. Also Finger weg von Nachtfahrten!

 Eine Grundregel gilt immer, bei dem nur leisesten Verdacht, dass ein zu überholendes Fahrzeug den Eindruck erweckt, der Fahrer könne die Spur nicht halten (und das ist bei fast jedem Fahrzeug so): lange hupen. Das Drucklufthorn vom 415 HDH ist einfach Spitze!

 Tanken in China ist zuweilen ein Erlebnis: Ran an die Säule, kurzer Blick auf die Uhr - steht sie auf null, also los, Sprit läuft. Der Tank fasst 500 Liter, 40 Liter sind noch drin, komisch nur, dass auf der Säule am Ende 572 Liter stehen. Der Liter kostet hier mittlerweile auch schon rund 0,75 €, Hans-Peter macht auf den Widerspruch aufmerksam, der Tankwart lädt zum Tee. Die Verhandlungen laufen am Ende ganz freundschaftlich auf die tatsächlich getankte Menge hinaus, wir bekommen noch kleine Beutel mit schwarzem Tee geschenkt, Fotos werden geschossen und es geht weiter, on the road in China!

 „China ist das Land des Widersinns“, schreibt der italienische Journalist Luigi Barzini in seinen Erlebnissen auf der ersten Automobilrallye von Peking nach Paris durch die Wüste Gobi, die Mongolei und Sibirien im Jahr 1908. Das ist jetzt über 100 Jahre her und manche Passagen aus dem Buch erinnern an Szenen, die wir auch erleben, vor allem was den Zustand einiger Straßenabschnitte anbelangt: Schlaglöcher, tiefe Rillen, unbeleuchtete motorisierte Dreiräder des Nachts. Eselskarren, die uns völlig gelassen auf der Überholspur entgegen kommen, ebenso gelassen gleitet ein nagelneuer Phaeton an uns vorüber.

 In China ist es oft laut und ruppig. Gebaut wird eigentlich ständig und überall. So auch an der Einfahrt zu unserem Hotel in Turfan. Bis hierher nicht ungewöhnlich. Am Nachbargebäude wird ein Loch in die Außenwand gestemmt, der Bohrhammer ist nicht zu überhören, das bemerkt sogar der Fahrer eines chinesischen Reisebusses, der in respektvollem Abstand zur Ausfahrt bleibt, weil ständig neben den dort flanierenden Passanten kleine und auch wesentlich größere Gesteinsbrocken aus dem 2. Stock auf dem Bürgersteig einschlagen. Das kümmert hier niemand, man muss einfach nur aufpassen! Schließlich fährt der Bus durch das Tor - in der Hoffnung, der Bauarbeiter im 2. Stock möge eine Pause einlegen...

 Wolfram Goslich

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