Im Reisebus von Freiburg nach Shanghai – auf der Seidenstraße um die halbe Welt
3Jul/10Off

Wolfram Goslich: Die Reise nach Westen

Es regnet in Shanghai – so viel, dass es kaum Sinn macht, noch ein Busfoto mit Skyline am Bund zu machen. Das Objektiv beschlägt, sowie ich aus dem Bus gehe, alles ist feucht, wir machen trotzdem ein Foto im strömenden Regen vor der Bank of China mit seiner klitschnassen roten Fahne auf dem Dach. Zwei Ampeln weiter, am alten Leuchtturm, biegen wir rechts in die Henan Road ein und dann direkt vom Huan-Po-Fluss auf den Suzhou Expressway - ja die Chinesen lieben amerikanische Bezeichnungen - und wühlen uns durch den morgendlichen Stau aus der Stadt raus, Richtung Westen und das bleibt für die nächsten vier Wochen unsere Fahrtrichtung. Nach Westen zurück nach Europa wieder quer durch Asien. Durch subtropisches, knalliggrünes Ackerland mit seiner fast roten Erde, über riesige Flüsse, den Yangzi, den Gelben Fluss und den Euphrat. Durch brüllend heiße Wüsten, Grasland, Steppe, Hochgebirge und liebliche Flusstäler, alles dabei. Und wieder auf superbequemen Autobahnen, aber auch auf Straßen, die nicht einmal den Namen verdienen. Los geht’s!

G 40, G 30, G312 – unsere Koordinaten seit Tagen. China im Zeitraffer auf dem Weg nach Westen. Jeden Tag legen wir im roten Bus zwischen 400 und bis zu 1,000 Kilometer zurück. Durch das dicht besiedelte, leuchtend grüne, nur zwischen Regen - und Nebelschleiern erkennbare Ostchina hinein in die wild zerklüfteten Lößberge zwischen Xi’an und Lanzhou, über den Yangzi, so breit wie ein ganzes Delta, über den Gelben Fluss, dessen Fluten wirklich ockergelb unter der riesigen Autobahnbrücke in Lanzhou gurgeln.

Ostchina säuft heute Morgen regelrecht im Regen ab. Die Felder stehen unter Wasser, Wege sind Schlammpfade und wir überqueren zahllose kleine Bäche, Flüsse und den berühmten Kaiserkanal. Darauf jede Menge Schubschiffe, Lastkähne und Küstenmotorschiffe unterwegs- dicht an dicht. Wir durchqueren Anhui, eine der ärmsten, der vergessenen Provinzen Chinas, gar nicht weit weg von Shanghai, aber hier im toten Winkel scheint vom neuen chinesischen Reichtum nicht viel angekommen zu sein. Die Bilder, die wir sehen, scheinen eher 80 Jahre alten Postkartenserien zu entstammen – Bauern mit Wasserbüffeln im Reisfeld, beim mühseligen Bearbeiten der Reisfelder, alles von Hand! Hier wächst Tee, die Sträucher reichen als dichte Büsche bis direkt an die Autobahn.

Die Wärme bleibt, das Grün geht, es wird trocken, wir kommen wieder in die Wüste  nach nur vier Tagen, die wir vom Ostchinesischen Meer weggefahren sind. Es geht so wahnsinnig schnell, zunehmend Moscheen, weniger Besiedelung, wieder Lehmhütten mit Flachdächern, dann rauf ins Gebirge auf knapp 2.900 Meter, kühl aber angenehm. Rechts von uns im strahlenden Mittagslicht, ein Lehmbau, länglich, wie eine Ruine und ganz schnell wird klar, wir sind wieder am Westende der chinesischen Mauer, die hier nur in Bruchstücken noch sichtbar ist. Wir stoppen genau dort, wo die Straße die Mauer durchschneidet. Eindrucksvoll!

Und dann fällt schlagartig das Thermometer – in 30 Minuten von 31° C auf etwas über 20° C. Der Wind nimmt zu, es beginnt zu regnen, heute Morgen regnet es sogar noch, und das Thermometer zeigt noch 14° C,mitten im Sommer, mitten in der Wüste irgendwo in Zentralasien! Jetzt, auf dem Rückweg, kommt es mir vor, als wären wir schon ganz weit im Westen, dabei sind wir erst am Anfang der Wüste und haben noch rund 2.000 Kilometer bis zur kasachischen Grenze vor uns. Wir durchqueren einen Wald von weißen Windmühlen, die umweltverträglichen Strom liefern sollen, wir liefern umweltverträgliche Bestnoten: 17,8 Liter Dieselverbrauch  auf 100 Kilometer, der Bus wiegt 16 Tonnen und bietet Platz für 38 Personen, noch Fragen?

Wieder sind jede Menge LKWs unterwegs nach Westen – nach Xinjiang (was eigentlich so viel wie Grenzland heißt), beladen mit Rotoren für Windräder, ganze Windparks entstehen hier. An der Straße stehen flache Armeezelte und oft sogar nur mit Plastikplanen gebaute Verschläge für die Wanderarbeiter, die Straßen und Windräder bauen. Ein Bettgestell, eine Matratze, Wind - und Regenschutz, Leine zum Trocknen, zwei Meter von der Straße, manchmal sogar Frischwasser von der Baustelle direkt nebenan, Klo im Straßengraben. Alles ist Provisorium, deren Leben vielleicht auch oder nicht?

Eine Frau packt im Windschatten einer kleinen Mauer ihre Sachen zusammen, es ist 8 Uhr morgens, sicher hat sie hier neben dem Straßengraben übernachtet, es ist regnerisch, was stecken da bloß für Geschichten dahinter?

Durch die schwarze Gobi geht es nur noch zweispurig, LKWs müssen überholt werden, manchmal auch ein bisschen abgedrängt, um rechtzeitig einscheren zu können. Ein seltsamer Zauber liegt über der Landschaft. Grauschwarze Hügel soweit das Auge reicht, tief hängende Wolken, kurze Schauer, ab und zu Rauchfahnen, die aus Zelten irgendwo an der Straße aufsteigen, ein Mann ist mit dem Lastenfahrrad unterwegs, sammelt leere Plastikflaschen, uns kommt ein Sattelschlepper entgegen, die rechte Seite des Führerhauses völlig eingedrückt, die Bugschürze hängt schief über der Straße, aber er fährt.

Ein andere Sattelschlepper fährt nicht mehr, keine 50 Meter von der Piste entfernt, hat sich festgefahren, steckt  bis zu den Radnaben im Sand und er ist nicht der einzige…

Der Plüsch-Panda-Bär – schon von Anfang an mit Stammplatz im Bus auf der Espressomaschine dabei - wird von mir entdeckt, als kleiner Icebreaker und Kommunikationsbär. Ich will den Plüschbären auf einer Raststätte fotografieren, finde keinen vernünftigen Platz für den Kleinen und schließlich drücke ich einem etwas scheu dreinschauenden  Autobahnpolizisten den Bär in die Hand, der posiert schüchtern, aber er posiert und - er lächelt. Ab jetzt geht der Bär durch viele Hände, es macht ungeheuren Spaß – der hört bei Zöllnern sicher wieder auf, aber was sind schon Zöllner, will man die wirklich fotografieren?

Autobahn wieder super, wir zahlen meist mit Chipkarte, „Fahren Sie sicher und entspannt“, so die Verabschiedung an jeder Mautstelle. Gezahlt wird nach Anzahl der Plätze, das wird zuweilen kontrolliert, wir geben immer 38 an, die einzige Zahl, die ich seit Wochen akzentfrei chinesisch aussprechen kann.

Immer wieder faszinierend, wie viele Menschen sichtbar unterwegs sind. Ich frage mich ständig: woher, wohin? Ein alter Mann trottet gemächlich im Baustellenbereich die Autobahn entlang, Straßenfeger auf der Autobahn müssten eigentlich alle schon Bekanntschaft mit Außenspiegeln gemacht haben - so nah wie sie an der Fahrbahn arbeiten.

Auf der Autobahn, Verkehr einspurig, alles rollt mit etwa 70 km/h dahin. Es ist relativ breit, nicht ganz so eng wie bei uns wenn der Verkehr über nur eine Fahrbahn mit Gegenverkehr läuft, aber immerhin soviel Platz, dass bei mir im rechten Außenspiegel auf einmal in Höhe der Hinterachse ein Honda Kombi auftaucht. Abdrängeln geht nicht mehr, also sauber geradeaus ohne in den Gegenverkehr zu fahren, damit der rechts vorbeikommt, sonst fährt er mir noch in die Mitteltür. Fünf Sekunden realer Wahnsinn auf der G 30 zwischen Xi’an und Lanzhou.

Reifenwechsel und gekippte LKW-Kabinen mitten auf der Fahrbahn - völlig normal, ein im Tunnel abgestellter LKW, mit ein paar Steinen und Hütchen gekennzeichnet, selbstverständlich unbeleuchtet, völlig normal. Rechts überholen ist selbstverständlich geworden, wozu hupen, versteht keiner, also rechts vorbei, stört niemanden, auch nicht die Polizei, die überholen selbst auf der rechten Spur und wenn sie links überholen, stört sie die durchgezogene Linie auch nicht. Da mutet es schon grotesk an, wenn Polizisten Lastenräder und Motorradrikschas anhalten und auf Verkehrssicherheit prüfen, selbst eine Runde drehen, um zu sehen, ob alles funktioniert. Das spielt sich alles vor unseren Augen ab – wir müssen mit dem Bus in die entgegengesetzte Richtung. Bis zur nächsten Ampel fahren kostet Zeit, also eine 180-Grad-Wende über eine durchgezogene Linie(!), nicht nur unter den Augen der Polizei, sondern mit deren Hilfe. Der Verkehr wird angehalten, damit wir wenden können.

Alle, die auf den Feldern arbeiten, sind mit Rädern unterwegs, mit Handkarren und mit Spaten und Gabeln über der Schulter, es sind wirklich kaum mal Trecker zu sehen. Schon lange durchschneiden Autobahnen chinesische Landschaften und dennoch bleibt so vieles sichtbar, was das Leben der Menschen an den Straßen trägt.

Es klart auf. Wir fahren in die Abendsonne, die kahlen Wüstenberge bekommen ganz scharfe Konturen, dramatische Wolkenbilder, zwischendurch Kontrollen, ein Polizist weist uns an, wir sollen rechts ranfahren, wir lächeln den Polizisten freundlich an, sagen auf Chinesisch die Worte Deutschland und Freiburg. Er schaut etwas ungläubig. Wir fahren wieder an, lassen ihn stehen. Kurzer Kontrollblick in den Außenspiegel, er bleibt ruhig. Wir wenden uns wieder unseren Gesprächen zu und fahren weiter.

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