Im Reisebus von Freiburg nach Shanghai – auf der Seidenstraße um die halbe Welt
14Jun/10Off

Wolfram Goslich …aus dem „Verkehrsstudio Zentralchina“

Eigentlich dachte ich, das Thema Straßenverkehr in China hätte ich erschöpfend beschrieben. Ein Tag unterwegs schmeißt das sofort über den Haufen. Wir verlassen Lanzhou auf dem Weg nach Osten zu den Majishan-Grotten. Es wird gebaut, Abflussrohre werden verlegt, mitten auf einer Ausfallstraße raus aus der Stadt. Die Baustelle liegt über ein bis zwei Kilometer mitten auf der Straße. Viel Verkehr, wie immer, es wird eng, alles drängelt auf die engen Durchlässe zu, die die Baustelle immer wieder freigibt. Da in China genau wie bei uns rechts gefahren wird, drängeln sich zunächst die meisten auf der richtigen Straßenseite in die enge Spur. Einige haben das schon sehr früh aufgegeben, allen voran die Linienbusse, die in den Gegenverkehr hineinfahren und sich durchschlängeln.

Uns bleibt vorerst nichts anderes übrig, als rechts gnadenlos mitzudrängeln, die Gesichter der meisten Fahrer verraten hohe Konzentration, Platzgewinn erzielen. Wir tricksen erfolgreich einen Lkw aus, der mit seinem rechten Außenspiegel schon bei uns am Bus klebt, aber so erfolgreich abgedrängt worden ist, dass er rückwärtsfahren muss, um überhaupt weiterzukommen. Das dauert und wird einem anderen Linienbus zu bunt, der eine weitere Lücke aufgetan hat und alle nunmehr rechts auf dem Bürgersteig zwischen kleinen Akazienbäumen überholt – gefolgt von einer ganzen Horde Pkws, die die Chance nutzen. Passanten habe ich dort gar nicht mehr gesehen. Mitten in den Gegenverkehr reinzufahren, nicht weiteren Drängeleien ausgesetzt zu sein, weil die Entgegenkommenden meist nur weichen können, hat sich dann als beste Lösung rausgestellt, uns wirklich weitergebracht und im Grunde genommen dafür gesorgt, Verkehrsregeln nur noch in Ausnahmefällen oder besonders unübersichtlichen Situationen zum Maß der Dinge zu machen.

Die Straße ist zur Fläche geworden, die in voller Breite zum Vorankommen genutzt wird, amerikanisch abbiegen nach links z.B. beginnt somit direkt an der Einmündung zur Kreuzung, wenn sich eine Lücke bietet und funktioniert selbstverständlich auch mit einem Dreiachser-Reisebus. Beim ersten Mal fragen wir uns noch ungläubig, geht das so? Soll ich wirklich? Danach wird aus dem Manöver bereits eine fließende Bewegung.

Dass zwei Autofahrer am Ende eines Autobahntunnels einen Auffahrunfall verursachen und sich in aller Seelenruhe im Tunnel ohne jegliche Hast und Eile darüber verständigen, keinen Warnblinker, geschweige denn Licht einschalten, sei hier nur am Rande erwähnt.

Manchmal frage ich mich, wie ich mich nach meiner Rückkehr jemals wieder an deutsche Gepflogenheiten auf der Straße im Auto gewöhnen soll.

Blog schreiben im Wohnzimmer, im rollenden Wohnzimmer - angenehmer geht’s kaum. Schon deshalb, weil durch den ständigen Szenenwechsel vor meinen Augen immer noch ein paar kleine Schlaglichter zum Notieren dazukommen. An den hinteren Tischen im Bus - die Laptops surren, manche lesen Zeitung oder Reiseführer - sieht es aus wie im ICE, nur mit dem Unterschied, dass es wesentlich entspannter ist, der Kaffee schmeckt, der Service aufmerksam ist, die Ansagen verständlich sind und nicht gebellt werden. Einfach entspanntes Reisefeeling!

Nicht, dass ich etwas gegen das Bahnfahren hätte, aber es zählt eben nicht nur die Technik, die haben heute alle, sondern die Art und Weise, Reiseatmosphäre zu schaffen, Gastgeber zu sein, wie Hans-Peter Christoph immer wieder betont.

Wolfram Goslich

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